Matricaria chamomilla L.
Sie sieht zwar sehr zart aus, aber lass dich nicht täuschen, denn hinter ihrer lieblichen Fassade hat sie es faustdick hinter den Blütenblättern.
Mit ihrem charakteristischen Duft und ihren entzündungshemmenden Eigenschaften ist die Kamille DIE Geheimwaffe gegen so manches Wehwehchen. Man könnte sagen, sie ist die Superheldin vom Wegesrand. Also, wenn der Magen mal wieder rebelliert oder eine Erkältung im Anmarsch ist, dann ist die Kamille wie eine umsorgende Mutter zu dir.
Je mehr ich mich mit der Kamille beschäftigt habe, desto faszinierter bin ich. Ich glaube, dass spiegelt sich leider auch in der Länge dieses Beitrages wieder.
Dass die Kamille als Kraut der Mütter sowie als Mutter der Heilkräuter bekannt ist hat seine Gründe. Sogar ihr botanischer Name Matricaria macht darauf aufmerksam. Er leitet sich vom lateinischen Wort mater = Mutter bzw. matrix = Gebärmutter ab. Ihr deutscher Name Kamille hat seine Herkunft in dem lateinischen Wort camomilla und griechisch chamaímêlon, was soviel wie Erdapfel oder am Boden wachsender Apfel bedeutet.
Der Volksmund kennt sie unter vielen Namen, einige Beispiele sind Apfelkraut, Kummerblume, Mutterkraut, Feldkamille oder Mägdeblume.
Lieblicher Hohlkopf
Die Kamille, ist eine Pflanze aus der Familie der Korbblütler. Ihr zarter Stängel ist stabiler als er auf den ersten Blick wirkt. Er trägt feine, zwei- bis dreifach gefiederte Blätter, die wie kleine Kunstwerke der Natur wirken. Sie sind filigran und zart - schlicht und auf das Wesentliche reduziert. Sie wachsen in wechselständiger Anordnung entlang des Stängels. Im oberen Bereich verzweigt sich der Stängel mehrfach, an deren Ende viele kleine Blütenköpfchen, mit weißen Blütenblättern um eine sonnengelben Scheibe thronen. Eines ihrer wichtigsten Erkennungsmerkmale ist der hohle Blütenboden, damit kann sie zu anderen Kamillenarten wie die Hundskamille unterschieden werden.
Ich bin immer wieder fasziniert, welchen Ideenreichtum die Natur besitzt, wie viele Details in jeder Pflanze stecken. Mit welchen Tricks sie Bestäuber anlockt und Fraßfeinde abwehrt. Wo sie ihre Inhaltsstoffe versteckt. Wie sie sich vermehrt oder welche Überlebenskräfte sie in sich birgt.
So auch bei der Kamille. Wer die Blütenköpfchen mal unter die Lupe nimmt und sie genauer betrachtet, wird eine Vielzahl von kleinen Einzelblüten entdecken, die in perfekter Harmonie angeordnet sind. Außen zieren 8-25 weiße Zungenblüten, die typischerweise mit zunehmender Reife sich mehr und mehr nach unten neigen. Im Zentrum wölben sich winzig-gelbe Röhrenblüten zu einer kleinen Kuppel empor. Genau hier sind die ätherischen Öle der Kamille versteckt. Unterm Mikroskop kannst du die sogenannten Drüsenschuppen erkennen. Diese befinden sich an der Oberfläche der Röhrenblüten. Sie bestehen aus Drüsenzellen, die das ätherische Öl bilden und einem Hohlraum, in dem das Öl gespeichert wird. Bei mechanischer Belastung (Zerreiben, Teeaufguss) reißt dieses Reservoir ein und gibt damit das Öl frei. Die Röhrenblüten der Echten Kamille besitzen im Vergleich zu ihren Doppelgängern den Hundskamillen keine Spreublätter.
Trotz ihrer Leichtigkeit beweist die Kamille Bodenständigkeit, nicht umsonst hat sie sich über die Jahrtausende bewährt. Dennoch ist ihre Bodenhaftung als Flachwurzler nicht sehr ausgeprägt. Ihre spindelförmige Wurzel mit vielen feinen Faserwurzeln reichen aber nicht sonderlich tief in den Boden.
Im Herbarium kannst du dir alle Details ganz genau anschauen.
Standorttreue Sonnenanbeterin
Ihren Ursprung hat die Kamille wohl in Süd- und Osteuropa. Trotzdem zählt sie zu den Archäophyten und ist inzwischen auch in Mitteleuropa heimisch.
Die Kamille ist eine echte Sonnenanbeterin. Was ihren Standort angeht, hat sie eine Vorliebe für durchlässige, lehmig-sandige Böden, ist aber insgesamt recht anspruchslos und nicht sehr wählerisch. Einzige Bedingung: Sonne. Als Lichtkeimer liebt sie es, im Rampenlicht zu stehen. Wie eine kleine Diva, die nur unter den besten Bedingungen auftreten möchte - sprich: sie braucht das Licht, um ihre volle Pracht zu entfalten. Mit diesen Vorlieben können wir sie auf sonnigen Hügeln und Feldern, aber auch in Gärten, entlang von Straßenrändern und auf Schuttplätzen entdecken.
Eigentlich ist die Echte Kamille ist eine Meisterin der Anpassung, die sich in verschiedenen Lebensräumen wohlfühlt und gedeiht. Dennoch möchte ich behaupten sie immer seltener zu sehen. Ich kann mich an Getreidefelder mit bunten Farbklecksen in rot, blau und weiß erinnern. Mohn, Kornblumen und Kamille. Diese drei gehörten irgendwie zusammen. Aber das ist schon lange her, das sind Bilder aus meinen Kindheitstagen. Ich nehme an, dass der Einsatz von Herbiziden auf den Getreidefeldern auf diesen Rückgang zurückzuführen ist.
Obwohl sie eine einjährige Pflanze ist, hält sie sich getreu an das Motto: Einen alten Baum Kamille verpflanzt man nicht. Sie ist standorttreu und verzeiht einen Umzug nur in ganz jungen Stadium.
Hilfsbereite Gartenfee
Ökologisch spielt die Kamille ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie bietet Nahrung für verschiedene Insektenarten. Bestäubt wird die Kamille in erster Linie von Fliegen und Schwebfliegen. Ihre zarten Blüten verströmen einen süßen Duft, der Insekten und Menschen gleichermaßen anlockt.
Aber auch der Smarte Gärtner weiß um die wohltuenden Kräfte der Kamille. Sie ist eine willkommene Helferpflanze im Garten. Vielerlei Gemüse schätzen ihre gesundheitsförderliche Nachbarschaft. Ertragssteigernd, wachstumsfördernd und mehr Widerstandskraft gegen Pilzerkrankungen – diese Qualitäten sind Balsam für des Gärtners Herz.
Wer die kleine Sonnenfee im eigenen Garten kultivieren möchte, sollte beim Aussäen darauf achten, dass die Kamille eine Lichtkeimerin ist und ihre Samen nicht mit Erde bedeckt werden. Bereits im Herbst keimen die ersten Pflänzchen und überstehen mühelos den Winter. Fühlt sich die Kamille im Garten wohl, samt sie sich zuverlässig Jahr für Jahr selber aus. Ganz schön praktisch, so eine kleine große Gartenhelferin, die mir die Arbeit erleichtert, ihren Nachbarn beim Wachsen hilft und selbständig das Bodenklima verbessert.
Ein blaues Wunder erleben
Es ist immer wieder faszinierend, wie viel Kraft in solch bescheidenen Pflanzen (sich ver)stecken. Hinter ihrer bescheidenen Fassade birgt die Kamille einen großen Schatz in sich und entpuppt sich als Superheldin in der Pflanzenwelt.
Sogar die moderne Pflanzenforschung hat dieses zarte Blümchen ganz genau unter die Lupe genommen und ihre inneren Werte aufgedeckt. So konnte wissenschaftlich belegt werden, dass Extrakte aus Kamillenblüten sowie einige ihrer Inhaltsstoffe zahlreiche pharmakologische Effekte aufweisen. Die Kommission E schreibt den Blüten der Echten Kamille (Matricaria flos) offiziell folgende Wirkung zu: antiphlogistisch, muskulotrop, spasmolytisch, wundheilungsfördernd, desodorierend, antibakteriell, bakterientoxinhemmend und Anregung des Hautstoffwechsels.
Unsere kleine Sonnenkönigin ist vor allem für ihre entzündungshemmende Wirkung bekannt. Ihre Wunderwaffe versteckt sich in ihrer blauen Seele, dem ätherischen Öl. Sein Anteil beträgt zwischen 0,4 bis 1,5 Prozent. Je nach Herkunft der Kamillenblüten kann der Ertrag und die Zusammensetzung des ätherischen Öls aber stark variieren.
Warum ist das Öl blau?
Genauer gesagt ist es azurblau. Die Farbe des ätherischen Öls entsteht erst durch den Prozess der Destillation. Dadurch wird der Wirkstoff Matricin in das blaue Chamazulen umgewandelt.
Die nachgewiesene entzündungshemmende Wirkung wird auf mehrere Inhaltsstoffe zurückgeführt, indem sie wichtige Enzyme in der Entzündungskaskade hemmen sollen. Hierbei spielen das Chamazulen, das Matricin, α-Bisabolol und Flavonoide die Hauptrolle.
Doch in unserer kleinen Superheldin steckt noch viel mehr, wie Schleimstoffe, Cumarine und zahlreiche Flavonoide. Dem Flavonoid Apigenin wird von den Forschenden eine größere Aufmerksamkeit geschenkt, da es ein vielfältiges Wirkungsspektrum aufzeigt. Neben einem entzündungshemmenden Effekt wird ihm ebenso eine spasmolytische, schlaffördernde und angstlösende Wirkung zugesprochen. Diese kleine Blume hat also den Dreh raus, wenn es um Entspannung geht.
Kehren wir noch mal zurück zum Chamazulen, denn da können wir unser blaues Wunder erleben wenn es um Wundheilung geht. Wissenschaftlich wurde belegt, dass mit Kamillenblütenextrakten die Wundheilung in allen Phasen gefördert werden kann, z.B. bei Abschürfungen, leichten Verbrennungen, Windeldermatitis, Ekzemen oder Schleimhautentzündungen.
Viele Studien belegen, dass die Wirksamkeit der Kamille auf die Gesamtheit ihrer Inhaltsstoffe beruhen. Das heißt Fett- und Wasserlösliche Substanzen leisten echte Teamarbeit, Synergie ist ihr Zauberwort. Sie arbeiten nicht nur zusammen, sondern verstärken sich gegenseitig.
Doppeltes Lottchen - Kamille oder nicht Kamille?
Die Echte Kamille ist zwar einzigartig was ihre inneren Werte betrifft, aber in ihrer Gestalt gibt es ein paar Nachahmer, die uns die Unterscheidung erschweren. Da haben wir die Geruchlose Kamille, die Strahlenlose Kamille, die Acker-Hundskamille und die Stinkende Hundskamille.
Fangen wir mit der Strahlenlosen Kamille (Matricaria discoidea) an. Sie zeichnet sich durch das Fehlen von weißen Zungenblüten aus, ihr Blütenkörbchen besteht stattdessen ausschließlich aus grüngelben Röhrenblüten. Dieses namensgebende Merkmal macht es leicht, sie von der Echten Kamille zu unterscheiden. Bei uns am Hof wächst sie mitten auf dem Weg und ist insgesamt viel kleiner und derber. Jedoch haben sie auch Gemeinsamkeiten, denn beide haben einen hohlen Blütenboden und einen intensiven Duft. Der Duft der Strahlenlosen Kamille erinnert mich aber mehr an Ananas, auch im Volksmund wird sie als Ananaskraut bezeichnet. Dieses Aroma können wir uns zunutze machen und die Blüten der Strahlenlosen Kamille zum Aromatisieren von Getränken benutzen. In ihrer Heilwirkung ist sie der Echten Kamille ähnlich, jedoch deutlich schwächer.
Die Geruchlose Kamille (Matricaria inodora) verrät es schon am Namen, ihr fehlt der charakteristische Duft. Darüber hinaus mangelt es ihr ebenso an heilkräftigen Wirkstoffen. Doch äußerlich ist sie für mich die etwas größere Zwillingsschwester der Echten Kamille. Ich finde keine der anderen Verwechslungskanditatinnen sieht der Echten Kamille so ähnlich wie diese. Wie nun unterscheiden? Ein deutliches Kennzeichen ist der markige Blütenboden. Wie schon beschrieben ist dieser bei der Echten Kamille hohl.
Den gefüllten Blütenboden haben ebenfalls die Arten der Hundskamillen als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Echten Kamille. Wer ganz genau hinschaut, kann ein weiteres Kennzeichen der Gattung Anthemis entdecken, nämlich die vorhandenen Spreublätter, die bei den Arten der Familie Matricaria fehlen.
Die Acker-Hundskamille (Anthemis arvensis) grenzt sich außerdem durch ihre behaarten Blätter und Stängel ab. Obendrein fehlt ihr der typische Kamillenduft.
Anders bei ihrer Schwester der Stinkenden Hundskamille (Anthemis cotula). Hier ist der Name Programm, denn diese Hundskamillenart verströmt einen höchst unangenehmen Geruch. Die Pflanze ist nur spärlich bis gar nicht behaart und ihre Blätter sind nicht ganz so filigran wie die der Echten Kamille. Aber Achtung, die Stinkende Hundskamille kann allergische Reaktionen hervorrufen! Sie enthält eine Substanz, die als gering giftig eingestuft wird. Die innerliche Einnahme kann zu Magenschleimhautreizungen und sogar zum anaphylaktischen Schock führen. Der äußerliche Kontakt von Pflanzenteilen kann Hautreizungen, Bindehautentzündungen und Atemprobleme verursachen.
Die Echte Kamille löst nur selten Kontaktallergien aus. Es wird angenommen, dass diese Reaktionen durch Verunreinigungen mit der Stinkenden Hundskamille in Kamillepräparaten hervorgerufen werden.
Alt bewährt und zeitlos wirksam
Alt bewährt währt am längsten. Das hat sich die Kamille wohl hinter die Ohren geschrieben, denn sie ist auch heute noch DIE Nummer Eins einer jeden Hausapotheke. Ihre lange Geschichte als Heilpflanze beweist, das sie wahrhaft ein Kraut der Superlative ist. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde sie von Hippokrates erwähnt und geschätzt.
Schauen wir uns die altbewährte Volksheilkunde der Kamille einmal genauer an.
Wie heißt es so schön: Abwarten und Tee trinken. Da steckt mehr Wahrheit drin als wir vermuten. So eine heiße Tasse Kamillentee kann so manchen in Unruhe geratenen Magen und/oder Darm zur Ruhe bringen. Rebelliert der Bauch, ruf die Kamille zur Hilfe – mit ihrer sanften Kraft hilft sie bei Blähungen, Bauchkrämpfen, Gastritis, Durchfall und auch Menstruationsschmerzen. Unterstützend kann noch ein warmer Kamillenwickel aufgelegt werden.
Da das ätherische Öl fettlöslich (lipophil) ist, können nur die wasserlöslichen Inhaltsstoffe im Tee gelöst werden. Bei der Zubereitung von Kamillentee verdunstet das ätherische Öl oder bleibt im Teerückstand zurück. Im Teeaufguss sind dadurch hauptsächlich Flavonoide und Schleimstoffe enthalten, die zwar eine schwächere Entzündungshemmung besitzen, dafür krampflösend und beruhigend wirken.
Um die Kamille in ihrer Gesamtheit wirken zu lassen, empfiehlt sich die Anwendung einer Kamillentinktur, denn alkoholisch-wässrig Extrakte besitzen die Fähigkeit, sowohl wasser- als auch fettlösliche Substanzen zu lösen.
Ein altbewährtes Hausmittel, das leider schon in Vergessenheit geraten ist, sind Kamillendampfbäder. Sie entfalten ihre wohltuende Wirkung, indem die heilenden ätherischen Öle der Kamille gemeinsam mit dem Wasserdampf aufsteigen, z.B. bei Nasennebenhöhlenentzündungen, Husten und Schnupfen und Heiserkeit. Bei lokalen Hautreizungen schenken warme Kamillenkompressen rasche Linderung.
Eines ihrer Spezialgebiete sind Entzündungen im Mund- und Rachenbereich wie Aphthen und Zahnfleischentzündungen. Hier helfen Gurgellösungen mit verdünnter Kamillentinktur (in Apotheken erhältlich).
Zu guter Letzt sei noch die Kamillensalbe genannt. Gekauft oder selbstgemacht ist sie eine kleine Wunderwaffe in der Hautpflege. Egal ob es um kleine Schnitte, leichte Verbrennungen oder gereizte Hautstellen geht - sie ist beruhigend und heilend zugleich.
Nun, da du vieles über die Kamille weißt, kannst du dich zurücklehnen, eine Tasse Kamillentee genießen. Die Kamille ist wirklich eine Pflanze, die es wert ist, näher kennengelernt zu werden, denn selbst die kleinste Blume hat eine große Geschichte zu erzählen.
Literaturquellen:
Susanne Fischer Rizzi; "Medizin der Erde"; AT Verlag
Steffen Guido Fleischhauer; "Enzyklopädie Essbare Wildpflanzen"; AT Verlag
Rita Lüder; "Grundlagen der Feldbotanik: Familien und Gattungen einheimischer Pflanzen"; Haupt Verlag
Verena Boltshauser; "Wundheilung mit Kamille" in Ars Medici Dossier VII 2006 https://www.rosenfluh.ch/media/arsmedici-dossier/2006/07/Wundheilung-mit-Kamille.pdf
Tobias Hitziger, Patrick Höll, May Ramadan, Dirk Dettmering, Peter Imming, Bernd Hempel; "Die alte junge Kamille" in PZ Pharmazeutische Zeitung Ausgabe 5/2003 https://www.rosenfluh.ch/media/arsmedici-dossier/2006/07/Wundheilung-mit-Kamille.pdf
Ompal Singh 1 , Zakia Khanam, Neelam Misra, Manoj Kumar Srivastava; Chamomile (Matricaria chamomilla L.): An overview; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22096322/
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