Gerade eben war noch Sommer, hell und warm und plötzlich klopft Kälte an die Tür. Die Kraft der Sonne schwindet dahin, ihre Bögen werden immer kleiner und die Dunkelheit gewinnt täglich dazu. Das ist der Lauf der Zeit, der Natur, des Jahres. Es kann nicht immer Sommer sein, auch wenn viele Menschen das gerne so hätten. Die Natur hat sich bestens in diesen Kreislauf des Werden und Vergehens eingerichtet. Der heutige Mensch dagegen konzentriert sich hauptsächlich auf das Werden; das Vergehen, Sterben und Tod werden bewusst ignoriert. Doch die Natur lehrt uns diese Lektion jedes Jahr aufs Neue, nicht nur im Herbst, aber um diese Zeit am eindrücklichsten.
Die Natur entkleidet sich ihres Sommergewandes und legt nun eine prächtige Robe in kräftigen Herbsttönen an. Insbesondere die Wälder verwandeln sich in ein flammendes Farbenspiel. Ist es eine Strategie des Herbstes mit einem Farbeninferno noch einmal zu locken oder zu trösten, abzulenken von der zunehmenden Dunkelheit, oder will er die die Wärme des Sommers einfangen, um unser Innerstes damit zu berühren und zu erwärmen, vielleicht als Vorrat für den Winter.?
Wenn ich den Herbst betrachte, dann ist er nicht nur Kälte und Regen. Er ist vieles. Ich sehe eine Explosion an Farben, die Waldwege haben für ihre Besucher goldene Teppiche ausgerollt und das für jederman/jederfrau. Wer will schon auf einem roten Teppich gehen, wenn er auf goldenen wandeln kann. Ich sehe eine betörende Naturfülle, des Herbstes Reichtum, den er großzügig verschenkt und die Samen des Neuen. Und die Düngemittel liefert die Natur gleich dazu, natürlich (und) rein biologisch. Bereits im Herbst wird für das Morgen vorgesorgt, wird der Frühling angelegt, aber zuerst bedarf es ein bisschen Ruhe. Ich spüre diese Ruhe bei meinen Streifzügen über Wiesen und durch die Wälder. Ich höre das Leiserwerden der Natur. Das fröhliche Gezwitscher der Vögel flaut ab und gibt Raum für neue Konzerte. Selbst wenn das Wolkenorchester seine herbstliche Regenovertüre beendet hat, hallt diese im Wald noch lange nach. Die Melodie des Regens ist im Wald eine ganz andere als in der Stadt, als auf dem Feld oder Wiese. Ich sehe das emsige Treiben des Eichhörnchens, das seinen Wintervorrat anlegt oder den Feuersalamander (das Regenmandl im Volksmund genannt), der fast nur im Herbst aus seinen Höhlen gekrochen kommt. Ich sehe Nebelschwaden übers Land ziehen, die so manchen Ort etwas Geheimnisvolles verleihen, ihn mystisch und faszinierend machen und so manches Tal unter einem Nebelmeer verbergen, die uns die Langsamkeit lehren wollen, die die Sicht begrenzen und den Blick auf das unmittelbar Umgebende lenken. Ich sehe wie die Wälder nicht nur bunter sondern auch wieder lichter werden. Ich spüre die Weichheit der Wege und auch wenn ich heute erwachsen bin, liebe ich es durch das bunte Laub zu schlürfen. Ich sehe und spüre die Stürme des Herbstes, wenn er durch die Baumwipfel weht und um Häuserecken fegt, wenn die Kälte unter die Haut geht und die Behaglichkeit und Schutz der warmen Stube lockt. Und ich sehe die Choreographie des Windes, der die bunten Blätter nicht einfach zur Erde herabplumpsen lässt, nein, er lässt sie gleiten und tanzen. Er spielt mit ihnen. Eben vom Winde verweht.
Aber natürlich spüre ich auch die Dunkelheit, doch die hat ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht. Bis dahin vergehen noch Wochen. Dennoch meine ich, dass im Herbst, insbesondere im November die Dunkelheit ihre größte Wirkung zeigt. Der Herbst ist der Weg in die Nacht. Der heutige Mensch mag die Dunkelheit nicht, er versucht sie diszipliniert aus seinem Leben zu verdrängen. Doch die Nacht und auch der Herbst lassen sich nicht disziplinieren. Es ist der Lauf der Erde, seit Jahrmillionen. Die Natur macht es uns vor und schaltet einen Gang runter, sie kommt zur Ruhe, besinnt sich auf das Wesentliche, kehrt ein und er-inner-t sich. Sie hat schon immer ihr ganz eigenes Tempo und lässt sich auch nicht vom Menschen aus der Ruhe bringen. Der Herbst lädt ein, es ihr gleich zu tun. Herbst ist Übergang und Wandel. Und so wie der Wandel in der Natur geschieht, zeigt er sich auch im Leben. Da mögen sich viele auch noch so sehr dagegen wehren, der Wandel kommt, egal ob es einem passt oder nicht, obgleich wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Der Herbst im Leben findet mehr als nur einmal statt – immer, wenn etwas Altes geht.
Es gibt eine Stille des Herbstes bis in die Farben hinein.
(Hugo von Hofmannsthal)
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