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Novemberherbst

Nebelmond, ein sehr treffender (alter) Name für den November, ist er doch zumeist recht düster, nassgrau und nebelig. Eben Herbst.



Es wird dunkler und dunkler, doch selbst am Tage ist alles trist – ein Grau in Grau. Regenwolken und dicke Nebelschwaden trüben das wenige Licht und somit ist reiner Sonnenschein eher eine Seltenheit. Der Rückgang des Lichtes wird nun deutlich spürbar. Und auch die Natur kleidet sich in November-Grau. Die Bäume haben ihre feurig bunten Kleider abgelegt – kahl und grau, beinahe nackt zeigen sie sich nun und trotzen dem herannahenden Winter.


Nebel verschleiert den Blick. Es ist kalt und nass. Nachdem die letzten Herbstfarben vom Grau vertrieben worden sind, sehnen sich die meisten Menschen sogar nach dem kalten Weiß des Winters. Alles besser als dieses Novembergrau. Der Novemberherbst ist die Vorbereitung auf den Winter, der zwar deutlich kälter, aber mehr Klarheit und Ruhe mit sich bringt. Der Winter, der alles sanft mit seinem weißen Tüchlein bedeckt, zu Bett bringt und Schlaf in die Augen der Natur streut – er ist die Zeit der Besinnung und des Rückzugs, der Erholung und der Entschleunigung (der heutige Mensch macht da allerdings eine Ausnahme – schneller, höher, weiter – rund um die Uhr …). Er ist viel sanfter als der November, wenngleich er viel kälter und lebensfeindlicher ist.


Der November ist ein sehr ungeliebter Monat, gerade wegen seiner Todesnähe, er konfrontiert den Menschen unübersehbar mit der Vergänglichkeit und dem Tod. Im Dezember dagegen wird das Herz gleich mal mit Vorfreude auf Weihnachten erwärmt. Es ist wie ein Licht in der Dunkelheit, ein Licht am Ende des Tunnels und genau ab diesem Zeitpunkt werden ja auch die Tage tatsächlich wieder lichter und länger. Wir genießen sogar die Schönheit eines eiskalten Wintertages, einer verzauberten Winterlandschaft wenn alles glitzert und funkelt. Im November dagegen, ist es einfach nur trist und grau, als wären selbst die Farben gestorben. Grau ist neutral, ist so nichtssagend, eintönig, unspektakulär, wird einfach übersehen. Und übersehen würden viele Menschen den November auch am liebsten, oder besser noch aus dem Jahreslauf streichen – ebenso wie den Tod.

Doch gerade die Natur vergegenwärtigt uns, dass kein Tod umsonst ist, dass der Tod das Leben in sich trägt, dass der Tod das Leben nährt, dass er seine Berechtigung hat und lebensnotwendig ist. Für Tier- und Pflanzenreich ist der Tod ganz normal, ist er ein Teil des Leben. Nur der Mensch hat solch große Probleme damit (da kann ich mich leider nicht ausschließen). Und da der November mehr als jeder andere Monat den Tod symbolisiert, kommt es auch nicht von Ungefähr, dass Allerheiligen/Allerseelen in dieser Zeit begangen wird. Seine Ursprünge hat es in dem Ahnenfest, dass die Kelten Samhain nannten. Den Menschen damals war es mehr bewusst, dass alles Leben seinen Ursprung in der Dunkelheit hat, z.B. der Same, der im Herbst herabfällt, in der Erde keimt und seine Wurzeln tief in der Dunkelheit der Erde ausbreitet, die Raupe, die in der Nacht ihres Kokons sich zum Schmetterling verwandelt oder das Baby, das im Dunkel der Gebärmutter heranwächst, bevor es dann endlich das Licht der Welt erblickt.

Und dann ist da noch dieser typische Nebel im November, der den Tag in ein graues Trübsal kleidet. Zum Einen verdunkelt er den Tag und zum Anderen vernebelt er den Blick. Er raubt schlichtweg die Sicht und taucht die Welt in Unschärfe. Und Unschärfe ist etwas, wogegen sich die meisten Menschen sträuben. Alles soll ganz klar erkennbar sein, am Besten in High Definition. Doch wie viel Schärfe hat das Leben wirklich? Wer kann schon behaupten, dass in seinem Leben alles klar ersichtlich und nichts verschleiert ist? Und wer kann beteuern, das Leben in all seinen Facetten durchschaut zu haben, und all seine Geheimnisse enttarnt?

Warum mögen wir die Unschärfe, den Nebel nicht - vielleicht weil sie daran erinnern, dass das ganze Leben davon geprägt ist. Das Leben gleicht vielmehr einer langen Allee, versunken im (November-)Nebel. Er umhüllt und verschleiert den Blick, nur schemenhaft ist der Weg zu erkennen, manchmal sieht man sogar die Hand vor den Augen nicht. Doch ab und zu öffnen sich die Nebelschwaden wie ein Theatervorhang und geben für einen Moment den Blick frei. Ein kurzes Eintauchen in die Klarheit, um sogleich wieder im Nebelmeer der Unschärfe zu versinken.

Der Nebel lässt mich nicht zu weit vorausschauen, er will, dass ich mich auf den Moment konzentriere und einen Schritt nach dem anderen gehe. Denn eben jeder einzelne Schritt, egal wie groß oder klein, wie schwer oder leicht ist gleich wichtig. Ohne den einzelnen Schritt erreiche ich nicht mein Ziel.


Beim Autofahren sorgt der Nebel dafür, dass die Geschwindigkeit gedrosselt wird. Wie lang hält es der ein oder andere durch, in dem Affentempo der heutigen Zeit zu leben? Vielleicht möchte der November-Nebel daran erinnern, dass es Zeit ist zu entschleunigen, dass wir es der Natur gleich tun, uns auf den Winter vorbereiten und einen Gang zurückschalten, eine Art Winterruhe halten.

Der November erscheint zwar in einem grauen Kleid (das Aschenputtel unter den Monaten), trägt aber umso mehr Weisheit über den Kreislauf von Leben und Tod in sich.

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