Der Holunder begleitet mich schon viele Jahre, obwohl ich ganz ohne sein wunderbares Aroma aufgewachsen bin. Er hat sich den Weg in meine Küche gebahnt und ist von dort nicht mehr wegzudenken. Er verleitet mich Sommer wie Winter zum Experimentieren und Kreieren. Wer erst einmal auf den Geschmack gekommen ist, kann sich seiner Magie kaum verwehren, denn der kulinarischen Vielfalt des Hollers sind wahrlich keine Grenzen gesetzt. Doch dazu später mehr.
Der Holler gilt als eine der ältesten und heilkräftigsten Pflanzen Europas und deshalb zog Mann in früheren Zeiten auch ehrfurchtsvoll den Hut vor ihm. Diese Pflanze wurde einst sehr verehrt und nicht nur ihrer Heilkraft wegen. Viele Bräuche zeugen von dieser Verehrung des Holunders. So wurden ihm zum Beispiel Krankheiten angehängt, das Waschwasser der Kinder und Neugeboren unter ihm ausgeschüttet, Haare, Fingernägel und Zähne wurden unter ihm begraben, so dass kein anderer damit Schadzauber betreiben konnte und viele andere Sitten.
Der Strauch war Sippen- und Schutzbaum, aber auch Lebens- und Totenbaum. Nicht nur die Menschen lieben den Holler, sondern der Holler auch die Menschen, denn nicht umsonst wächst er bevorzugt in deren Nähe, wie ein stiller Begleiter. Kein Garten sollte ihn missen, um Haus und Hof vor Unheil und Krankheit zu schützen. Er gehörte zum Familienleben dazu und nahm ein besondere Position mit seiner schützenden Kraft ein. Der Holunder galt auch als Schwellenbaum, der in die Anderswelt/Unterwelt führt, als Sitz der Ahnen und als Reich der Göttin Holla (Frau Holle). Das wird verständlicher, wenn man/frau das Erscheinungsbild im Jahreslauf genauer beobachtet. Der Holler zeigt sich in zwei Gestalten, im Frühjahr als lichte Jungfrau im weißen Blütenkleid und im Herbst als die Totengöttin Percht im schwarzen Trauerkleid des Todes. Eindrücklich zeigt diese Symbolik des Holunders auch das Märchen Frau Holle, in dem Marie durch den Brunnen in die Unterwelt der Frau Holle gelangt. Erstaunlicherweise ist diese Unterwelt oder besser Anderswelt gar nicht so düster wie gedacht. Das alte Märchen der Holla gibt mitunter auch Hinweise auf sie als Gebieterin der Jahreszeiten. So landet Marie auf einer reich bestückten Frühlingswiese, holt das Brot, gebacken mit dem Mehl des Sommergetreides, aus dem Ofen und erntet im Herbst die Äpfel. Und sonderbarerweise schneit es in der Menschenwelt von oben, wenn Frau Holle ihre Betten in der Unterwelt schüttelt. Die Göttin Holla hat viele Namen und viele Aspekte. Sie ist Muttergöttin, Himmelsgöttin, Lebens- und Totengöttin, Göttin der Jahreszeiten, Fruchtbarkeitsgöttin, Schutz- und Heilgöttin. Und ebenso viele Aspekte hat auch der Hollerstrauch. Über das Märchen und die Göttin Holla gäbe es noch viel zu philosophieren, doch das würde hier den Rahmen sprengen. Schließlich haben andere ganze Bücher darüber geschrieben.
Die Symbolik als Lebens- und Totenbaum zeigt sich auch in der Signatur des Hollers. Die weißen Blüten werden dem Mond und dem Element Wasser zugeordnet und symbolisieren den Neubeginn, das Weibliche, die Fruchtbarkeit. Die schwarzen Beeren dagegen versinnbildlichen den Tod, den nahenden Winter, das Einsetzen der dunklen Jahreszeit, Saturn als Hüter der Schwelle. Generell wirkt der Strauch auf mich weiblich und hat etwas großmütterliches. Der Holler ist wie eine reife Frau, die erdig und standhaft ist, die die Dinge im Griff hat, sie ist praktisch, kann gut anpacken, ist elegant und zugleich robust, mütterlich – nährend und beschützend, kann tragen und ertragen. Es ist eine gütige Frau, sie hat Tiefe, symbolisiert Sattheit und Fülle und trägt eine stille Weisheit in sich.
Wie schon erwähnt bevorzugt der Holler die Nähe des Menschen. Er ist dabei anspruchslos und gedeiht wo ihm beliebt – an Wegesrändern, lichten Wäldern, Bachläufen, Feldwegen, Wiesen, Schuttplätzen und gerne auch in der Nähe von Stallungen, denn er liebt ebenso wie die Brennnessel stickstoffreiche Böden. Ausgewachsen, kann der Holunder die beträchtliche Höhe von drei bis neun Metern erreichen und auch seine Lebenszeit kann bis zu stattlichen 100 Jahren betragen – in der Wildnis wohlgemerkt. Seine Blätter sind meistens 5zählig, lanzettenförmig zugespitzt, der Blattrand fein gesägt und die Anordnung ist unpaarig gefiedert. Ende Mai kleidet sich der Holler dann in weißer Pracht, er erscheint im Blütenkleid und verströmt dazu sein typisch wohliges Aroma. Aus vielen kleinen Einzelblüten bilden sich die üppigen wirkenden Scheindolden. Die Blüten sind zart und filigran und erinnern an Schneeflocken und Frau Holle. Dieser Eindruck verstärkt sich am Ende der Blütezeit, denn unterm Strauch scheint es als hätte Frau Holle ihre Betten kräftig ausgeschüttelt. Am Ende des Sommers sind die Beeren ausgereift. Satt und schwarz glänzend hängen sie herab, prall gefüllt mit Abwehrkraft für den Winter, warten sie darauf geerntet zu werden. Doch Vorsicht ist geboten, einfach zum Vernaschen sind die Beeren nicht. Sie möchten ein bisschen mehr Aufmerksamkeit und eine gebührliche Zubereitung, denn die Beeren sind roh verzehrt unverträglich. Beeren, Samen, aber auch die Blätter enthalten das Blausäureglykosid Sambunigrin. Dieses dient dem Holler als Schutz vor Fraßfeinden. Es führt zu Brechreiz, Durchfall, Magen- und Darmbeschwerden. Durch das Kochen wird das Blausäureglykosid jedoch unschädlich gemacht. Die Hollerbeeren sind auf jeden Fall vor dem Verzehr ca. 15 Minuten zu kochen.
Da ich nun das Kochen nun schon mal erwähnt habe, möchte ich einen Abstecher in die Genusswelt des Hollers machen. In dieser Welt sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt und gehen weit über den Hollerblütensirup hinaus. Ich verwende den Holler, insbesondere dessen Blüten das ganze Jahr, Sommer wie Winter, denn sein besonderes Aroma bleibt auch in den getrockneten Blüten erhalten. Meistens werden Torten mit Hollersirup gesüßt um dessen Aroma zu erhalten, doch Milch und Sahne nehmen den Geschmack der Blüten besonders gut an und ist somit kräftiger. Damit lassen sich Mousse, Cremes, Pudding, Torten, Aufläufe, Sahnesaucen, Hefegebäck, … wunderbar verfeinern. Dazu wird je nach Menge 1-2 EL getrocknete Holunderblüten oder die doppelte Menge frischer Blüten in der Milch oder Sahne kurz aufgekocht und ggf. anschließend wieder abgekühlt. Ein Rezept zum Ausprobieren finden sie hier. Die Holunderbeeren sind nicht nur kleine Vitaminbomben und stärken das Immunsystem, sondern sind obendrein auch noch lecker. Zum Beispiel als Hollerkoch, und dieser passt wiederum sehr gut zu einer Hollerblütenmousse, oder zum Kaiserschmarren, oder als Fülle in Germknödeln oder Buchteln. Auch als fruchtig-scharfe Sauce zu einem guten Steak sind Holunderbeeren ausgezeichnet. Und ein Sirup der Beeren ist meine Winterprophylaxe um meine Abwehrkräfte zu stärken und jeglichen Grippewellen zu strotzen.
Auch in der Volksheilkunde hat der Strauch eine lange Tradition. Hippokrates bezeichnete den Holunder schon als Medizinschrank gegen allerlei Leid, da er in allen Teilen heilkräftig ist. Und im Volksmund wird er als „Herrgotts' Apotheke“ bezeichnet. Er galt in früheren Zeiten als Frauenheilpflanze, ein Umstand, der fast schon vergessen ist. Durch seine Symbolhaftigkeit als fruchtbarkeitsbringende Pflanze besagt eine alte Redensart: „Man könne die Kinder vom Hollerbaum herunterschütteln [...]“. 1 Auch Blätter und Rinde wurden verwendet, zum Beispiel für Sitzbäder um Geschwüre zu heilen oder sich deren abführende Wirkung zunutze gemacht. Heute wird vor allem die schweißtreibende Wirkung bei fieberhaften Erkrankungen in Form von Holunderblütentee genutzt. Die wichtigsten Heileigenschaften des Holunders sind: schweißtreibend, fiebersenkend, schleimlösend, abwehrsteigernd, harntreibend Blätter und Beeren: stark abführend
Es gäbe noch viel zum Holler zu erzählen, er trägt eine Faszination in sich, der ich mich nur schwer entziehen kann. Es ist eine große Welt, die er beherbergt – eine Welt der Göttin, der Mythen und Märchen, der Jahreszeiten, der Philosophie, der Kulinarik, der Heilkunde … Enden möchte ich mit den Worten von Wolf-Dieter Storl2, die treffender nicht sein könnten:
„Niemals war der Holunder ein Strauch wie jeder andere.“
1 Vgl. Margret Madejsky: Lexikon der Frauenkräuter. Inhaltsstoffe, Wirkungen, Signaturen und Anwendungen. AT Verlag: 2015, S 129 2Wolf-Dieter Storl: Pflanzen der Kleten. Heilkunde, Pflanzenzauber, Baumkalender. AT Verlag: 2002, S. 212
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