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Schafgarbe - Im Reich der Venus



Einen ganzen Sommer über beschäftigte mich ein altbekanntes Kraut, die Schafgarbe. Ich habe versucht, sie mit allen Sinnen zu erfassen, habe mit ihr in der Küche experimentiert, Öl und Tinktur angesetzt, Tee getrunken und verräuchert, habe sie genau unter die Lupe genommen, von allen Seiten betrachtet und studiert und über sie philosophiert. Doch kann ich ihr mit diesen Zeilen wirklich gerecht werden?


Sie hat ihre ganz eigene wild-herbe Schönheit. Gekonnt vereint sie in ihrer Gestalt Gegensätze wie Robustheit und Anmut. Bei genauerer Betrachtung offenbart sie ihre majestätische Stärke.


Was ihren Standort angeht, ist die Schafgarbe bescheiden, sie verbreitet sich auf Magerwiesen ebenso gern wie auf Fettwiesen oder Wegrändern. Dabei wirkt sie bodenständig und gut geerdet, obwohl ihr Wurzelwerk nicht weit in die Tiefe reicht. Ihr Wuchs ist aufrecht und es beliebt ihr nicht, sich zu verbiegen. Der Stängel ist kantig gerillt und starr – geradezu unbeugsam. Alles oder Nichts. Sie setzt ihre ganze Existenz ein, um für das Leben zu kämpfen. Und kämpfen heißt sich schützen. Leicht zu brechen ist sie daher nicht, eher lässt sie sich entwurzeln.



Wechselständig entspringen ihrem festen Stiel Blätter, die ins Reich der Venus führen. Ihre feingliedrige Form haben ihr den Namen „Augenbraue der Venus“ verliehen. Sie wirken filigran, doch in ihrer Haptik sind sie recht fest und kratzig. Der Aufbau hat eine wohlgeordnete Struktur. Ein Blatt wirkt wie aus unzählig vielen zusammengesetzt. Ein Tausendblatt wie einer ihre vielen Namen im Volksmund lautet. Doch bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das Tausendblatt als Eines. 10 bis 15 doppelt bis vierfach gefiederter Paare zieren ein Blatt, das bis auf die Blattnerven eingeschnitten ist. Sozusagen auf das Wesentliche reduziert, aber dadurch an Stil und Eleganz gewonnen.



Oben (wie) aufgesetzt thront die Blütenkrone. Die Schafgarbe gehört zur Familie der Korbblütengewächse. Mehrere kleinste 5-Stern-Röhrenblüten in der Mitte sind von 4- 6 Zungenblüten umrandet und ergeben ein Blütenköpfchen. Und derlei gibt es viele, zusammengesetzt zu einer rispig-angeordneten Scheindolde. Ein schlichte Eleganz. Anmutige Blütenwölkchen auf einem derben Stiel. Sie ist keine Schönheitskönigin wie die Rose und doch wohnt ihr ein eigener Zauber inne. Die Schafgarbe besticht durch Ausstrahlung und einer wild-herben Schönheit. Nicht umsonst wird sie mit Venus/Aphrodite in Verbindung gebracht. Die Blüten der Schafgarbe enthalten außerdem ein ätherisches Öl, welches durch einen hohen Gehalt von Azulen eine blaue Farbe hat sowie eine entzündungshemmende Wirkung haben soll.



Die Röhrenblüten bilden das Zentrum und öffnen sich, wie auch bei anderen Körbchenblütlern, von außen nach innen. Sie sind so filigran, ihre Größe beträgt gerade mal 1 mm breit und ca. 3 mm lang. Die Röhrenblüten sind zwittrig. Sobald sich die Röhrenblüte öffnet, wird als erstes das Staubblatt vom Stempel nach oben geschoben. In weiterer Folge schiebt sich der Griffel mit der gespaltenen Narbe empor.

Außen herum befinden sich 4-6 Zungenblüten. Diese sind nur weiblich und besitzen daher nur einen Stempel mit der gespaltenen Narbe. Noch faszinierender sind diese Details unter dem Mikroskop.

Ihr deutscher Name Schafgarbe leitet sich vom althochdeutschen Wort garwe ab, das als „Gesundmacher“ interpretiert wird. Viele vergessene Namen geben Hinweise auf ihren Gebrauch in der Volksheilkunde. Die Schafgarbe war auch bekannt als Blutstillkraut, Soldatenkraut, Bauchwehkraut, Frauendank, Heil aller Welt, Beilhiebkraut und als Achilleskraut. Die Schafgarbe enthält vor allem Bitterstoffe und wird auch heute noch in der Volksheilkunde bei Verdauungsstörungen, Bauchkrämpfen und Menstruationsbeschwerden erfolgreich eingesetzt.


Der Name Achilleskraut findet sich auch in ihrer lateinischen Bezeichnung Achillea millefolium wieder. Achilleus war ein griechischer Heerführer im Trojanischen Krieg. Der Halbgott Achilleus galt als unverwundbar, da seine Mutter, die Göttin Thetis, ihn in den Fluss Styx getaucht haben soll. Nur die Ferse, an der sie ihn gehalten hatte, war sein wunder Punkt. Bei dem weisen Zentauren Chiron lernte der junge Achilleus neben der Kriegskunst und der Musik auch die Kunst der Medizin. Obwohl Achilleus um das Geheimnis der wundheilenden Schafgarbe wusste, konnte er sich selbst nicht retten und fand sein tragisches Ende durch einen Pfeil in die Ferse. Umgangssprachlich wird heute noch von der Achillesferse als jemandes wundem Punkt gesprochen. Jeder hat einen wunden Punkt, körperlich wie emotional.



Die Schafgarbe scheint Gegensätze zu lieben und ist eine Meisterin darin, sie in sich zu vereinen. Sie soll Blutungen stillen und gleichermaßen auslösen können. Sie kann Wunden heilen, aber auch als Wiesendermatitis die Haut wund machen. Sie ist derb und stark und zugleich zart und verletzlich. Ihr Duft ist herb würzig, doch ebenso warm und sinnlich. Vielleicht möchte sie dazu anregen, beide Seiten zu bedenken. Denn um etwas ganz zu verstehen, muss man auch dessen Gegensatz kennen und erfahren. Wie will man das Licht begreifen, wenn man die Dunkelheit nicht kennt, den Sommer ohne den Winter je erfahren zu haben oder ein ganzes Meer ohne sich des einzelnen Tropfens bewusst zu sein.





Aber vielleicht geht es auch um die Gegensätze in mir selbst, um meine Stärken ebenso wie um meine Schwächen. Zum Stark sein gehört auch der Mut, schwach sein zu dürfen. Und wie oft ist in der größten Schwäche auch die größte Stärke verborgen.


Die Schafgarbe ist für mich eine Wiesenkönigin. Wild, frei und stolz.


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