top of page
  • Instagram

Reine Herzenssache - Pflanzenportrait Hirtentäschel

mondblumenzeit

Aktualisiert: vor 5 Tagen


An manchen Wintertagen wirkt die Welt wie verzaubert. Über Nacht hat Raureif einen glitzernden Schleier über die Erde gelegt. Zart und leise verwandelt die Nacht die Landschaft in einen winterlichen Traum. Äste und Gräser, Bäume und Dächer, aber auch das Fell unserer Alpakas sind eingehüllt in ein kaltes und zauberhaftes Kleid. Mittendrin glitzern kleine Herzen, ummantelt von winzigkleinen


Eiskristallen, in der Morgensonne. Das Herzelkraut als welches das Hirtentäschel auch im Volksmund bekannt ist, scheint von den Jahreszeiten unberührt. Hier in Graz sind die Winter zwar milder, aber den meisten Pflanzen ist es zu kalt. Unbeirrt von Frost und Schnee blüht das Hirtentäschel munter vor sich hin und beschenkt mich obendrein mit frischem Grün.


Dieses unscheinbare Kraut aus der Familie der Kreuzblütengewächse gehört für mich zu den wilden Überlebenskünstlern. In den letzten Jahren hat es mich vor allem in den Wintermonaten erstaunt. Es blüht einfach weiter, als gäbe es keinen Winter. Ist es besonders widerstandsfähig oder zeigt sich auch hier ein leises Echo der Klimaveränderungen? Hier in Graz sind die Winter ohnehin schon recht mild und seit ein paar Jahren werden sie immer trockener und kürzer. Das Hirtentäschelkraut scheint davon jedenfalls zu profitieren und die wenigen frostigen Nächte steht es locker durch.


Hirtentäschel im Gegenlicht
Das Hirtentäschel fühlt sich fast auf jeden Boden wohl.

Grüner Überlebenskünstler - anspruchslos und überall dabei

Die unermüdliche Bautätigkeit der Menschen scheint die Verbreitungsstrategie dieses Krautes zu unterstützen. Denn das Hirtentäschel ist eine anspruchslose Pflanze. Ein echter Pionier, der die Anpassung an verschiedene Lebensräume und Böden meisterlich beherrscht. Als Ackerbeikraut gedeiht es in gut gedüngten Gärten, auf Äckern, ebenso wie auf gestörten Böden, Ruderalflächen wie Schuttplätzen und Erdaufschüttungen. Auch auf unseren Wiesen können wir eine Zunahme des Hirtentäschels beobachten. Häufig sind es Stellen, an denen die Grasnarbe beschädigt wurde. Wo Erde aufgewühlt und Böden gestört werden, fühlt sich das Hirtentäschel berufen, die nackte Erde zu bedecken und somit vor Erosionen zu schützen.


Um zu gedeihen benötigt es nicht viel. Es ist bescheiden in seinen Bedürfnissen, dieses Herzlkraut, und doch unerschütterlich in seinem Lebenswillen. Mittelmäßigkeit ist sein Anspruch, zumindest was seinen Bedarf an Nährstoffen und Feuchtigkeit betrifft.


Doch auch wenn ein milder Winter dem Täschelkraut nichts anhaben kann, seine Zeit ist begrenzt. Nur ein Jahr oder vielleicht zwei, dann ist sein Lebenszyklus beendet. Das wird uns allerdings kaum auffallen, denn das Hirtentäschel sorgt vor und bildet eine erstaunliche Menge an Nachkommen. Eine einzelne Pflanze schenkt der Welt bis zu 60.000 Samen – winzige Versprechen auf neues Leben.  Als Meister der Selbstbestäubung verlässt sich das Hirtentäschel lieber auf sich selbst und zeigt uns, was es heißt, auf das eigene Potenzial zu vertrauen. Jahrzehnte lang keimfähig warten die Samen geduldig auf eine Mitfahrgelegenheit. Wind, Regen, Vögel und andere Tiere sind die Postboten des Hirtentäschels, die es zu ihrem neuen Bestimmungsort tragen.




Ein Kraut mit vielen Namen

Im Volksmund trägt das Hirtentäschelkraut viele Namen: Bauernsenf, Beutelschneider, Blutkraut, Gänsekresse, Herzelkraut, Schneiderbeutel, Täschelkraut, Taschendieb, um nur ein paar zu nennen. Doch allen gemeinsam ist der Verweis auf seine charakteristischen Fruchtstände.


Auch der wissenschaftliche Name, Capsella bursa-pastoris, birgt eine solche Geschichte in sich. Capsella, die "kleine Kapsel", beschreibt die Form ihrer Frucht, die so prägnant ist, dass sie der Pflanze ihren Namen verlieh. Bursa, der "Beutel", und pastoris, der "Hirte", fügen ein weiteres Bild hinzu: Jenes eines schlichten Täschels, getragen von einem Hirten, der sorgsam über seine Tiere wacht. So verweben sich Sprache, Form und Bedeutung zu einem Namen, der nicht nur die Pflanze beschreibt, sondern auch ihre enge Verbindung zur menschlichen Kultur und zur Landschaft, in der sie wächst.


Das grüne Einmaleins des Hirtentäschels


Blattrosette des Hirtentäschels
Blattrosette des Hirtentäschels

Passend zum Namen wirkt das Hirtentäschel recht bodenständig und robust gebaut. Mit einer Blattrosette schmiegt es sich an den Boden und erinnert dabei an den Löwenzahn. Denn die gezahnte Form ihrer Grundblätter ähnelt sich. Im Frühjahr, wenn beide Pflanzen ihre ersten grünen Blätter zeigen, könnte man sie vielleicht verwechseln. Doch wer genauer hinsieht, lernt die charakteristischen Merkmale beider Arten gut zu unterscheiden. Die Blätter des Hirtentäschels sind buchtig gelappt bis fiederspaltig und seine „Zähne“ sind nach oben gerichtet. Beim Löwenzahn hingegen weisen die Zähne nach unten, geerdet und abwärts geneigt. Und da ist noch der typische Milchsaft des Löwenzahns, während das Hirtentäschel ohne auskommt.




Die Größe seiner Blattrosette verrät viel über seine Umgebung. Je nach Nährstoffangebot und Feuchtigkeit variiert sie, von winzigen Ausmaßen bis zu löwenzahngroßer Pracht. Eine weitere Gemeinsamkeit beider Pflanzen zeigt sich in ihrer Bodenhaftung, denn beide nutzen zur Nährstoffaufnahme eine Pfahlwurzel.

Insgesamt will das Hirtentäschel höher hinaus, während der Löwenzahn lieber auf dem Boden bleibt. Die Wuchshöhe kann je nach Standort von kleinen 10 cm bis zu einer stattlichen Größe von 80 cm variieren.


Es geht robust weiter. Denn der spärlich behaarte Stängel des Hirtentäschelkrautes ist starr und derb. Am unteren Teil sprießen wechselständig angeordnet die Stängelblätter. Sie unterscheiden sich deutlich in ihrer Form von den Grundblättern. Lanzettlich geformt und ohne Stiel umfassen sie den Stängel mit kleinen Öhrchen.



Aber nun endlich zum namensgebenden Haupterkennungsmerkmal dieses Krautes. Die kleinen Schötchen sind wie der Volksname Herzelkraut schon verrät, herzförmig. Langgestielt sind sie wechselständig am Stängel angeordnet. Dadurch wirkt der robuste Stängel wie eine kleine Leiter. Oben angekommen, thront der schirmtraubige Blütenstand. Als Kreuzblütengewächs bestehen die Blüten des Hirtentäschels typischerweise aus vier weißen Kronblättern und insgesamt 6 Staubblättern, wovon die äußeren 2 Staubblätter kürzer als die 4 inneren sind.


Schatzkammer der Hirten

Auf den ersten Blick mag das Hirtentäschel unscheinbar wirken, doch in ihm steckt ein buntes Portfolio an wertvollen Inhaltsstoffen. Besonders bemerkenswert ist der hohe Gehalt an Aminosäuren und Proteinen, der ca. 30 % der Pflanze ausmacht. Auch eine Vielzahl an Flavonoiden sowie Gerbstoffe als Pflanzenschutz und Vitamin C gehören zu den inneren Werten des Täschelkrauts. Ein weiterer Schatz ist sein Reichtum an den Mineralstoffen Kalzium und Kalium. Abgerundet wird dieses Spektrum durch Senfölglykoside, die der Pflanze nicht nur ihren charakteristischen Geschmack verleihen, sondern auch in der Küche für eine dezente Schärfe sorgen. All diese Inhaltsstoffe tragen zusammen zur vielseitigen Anwendung des Hirtentäschels bei.


Hirtentäschel im Gegenlicht

Natürlicher Helfer

Das Hirtentäschel war bereits in der Antike als Heilpflanze bekannt. Schon Hippokrates (460–377 v. Chr.) schätzte seine heilenden Eigenschaften und empfahl es als Mittel zur Behandlung von Beschwerden der Gebärmutter. Jahrhunderte später beschrieb der Botaniker und Gelehrte Hieronymus Bock (1498–1554) das Hirtentäschel in seinem "Kreutterbuch" als wertvolle Heilpflanze. Er hob insbesondere die blutstillenden Eigenschaften der Pflanze hervor und empfahl sie zur Behandlung von Blutungen, Wunden sowie bei starken Menstruationsblutungen.


In der europäischen Volksheilkunde wird das Hirtentäschel bei ebendiesen Beschwerden seit langem angewandt. Wegen seiner blutstillenden und entzündungshemmenden Eigenschaften wird Capsella bursa-pastoris auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) geschätzt.


Das Herzlkraut ist sowohl von der Kommission E als auch vom HMPC als traditionelles pflanzliches Arzneimittel anerkannt. Unterstützend kann es bei Nasenbluten und starken Menstruationsblutungen angewendet werden, vorausgesetzt, dass eine ernsthafte Erkrankung zuvor ärztlich ausgeschlossen wurde. Ebenfalls sei es zur äußerlichen Anwendung bei oberflächlichen! leicht blutenden Hautverletzungen geeignet.


Auch in der heutigen wissenschaftlichen Literatur (z.B. pubMed) gibt es zahlreiche Studien, die sich mit den möglichen gesundheitlichen Vorteilen von Hirtentäschel befassen. Die meisten Studien konzentrieren sich auf seine hämostatische Wirkung sowie seine entzündungshemmenden und antioxidativen Eigenschaften. Die Ergebnisse sind durchaus vielversprechend, benötigen aber noch weitere intensive Forschungsarbeit.


ACHTUNG: In der Schwangerschaft sollte das Hirtentäschelkraut nicht eingenommen werden, da es kontrahierend und daher wehenanregend auf die Gebärmutter wirken könnte.


Bereit für neue Geschmacksabenteuer?

Als Heilpflanze wird das Hirtentäschel seit langem geschätzt, doch seine kulinarischen Qualitäten sind leider noch recht unbekannt. Vom Herzlkraut lässt sich wirklich alles verwenden: Wurzeln, Blätter, Blüten und Samen. Diese Allround-Pflanze bringt jede Menge kulinarische Möglichkeiten mit sich und peppt so manches Gericht auf! Ihr Aroma erinnert mich an eine Kombination aus Rucola, Erbsen und Kresse. Der Geschmack variiert ein wenig. Mal drängt sich der Erbsengeschmack in den Vordergrund, ein andermal dominiert die Schärfe. Vielleicht ist es standortabhängig.


Mit einem Salat lässt sich nicht nur sein wunderbares Aroma genießen, sondern zugleich seine wertvollen Inhaltsstoffe einverleiben. Oder lieber eine Eierspeise mit etwas Pepp, ein Pesto oder im Dip?


Ein anderer Volksname des Krautes lautet Bauernsenf. Und genau dieser lässt sich aus den Samen herstellen. Sind die kleinen Schötchen ausgereift, können die Samen geerntet, gemahlen und anschließend mit weiteren Gewürzen und Essig zu Senf verarbeitet werden. Allerdings muss ich zugeben, dass das Ernten der Samen aufgrund ihrer Winzigkeit sehr aufwendig ist und die Ausbeute dementsprechend gering. Selbst für einen Teelöffel Senf benötigt man eine beträchtliche Menge an Samen und vor allem Geduld.

Aber auch die zarte Wurzel ist essbar und lässt sich, getrocknet und zerrieben, zu einem Gewürzpulver verarbeiten, das ein wenig an Ingwer erinnert.


Wie schon beschrieben, wächst das Hirtentäschel zu fast jeder Jahreszeit und kann demnach nahezu das ganze Jahr geerntet werden. Die beste Erntezeit der Blätter ist das Frühjahr. Ab der Blüte werden die Blätter ein kleines bisschen herber.

 

Hirtentäschel oder nicht: Die Kunst der Unterscheidung

Ich hab ja schon die Verwechslungsmöglichkeit der Blattrosette mit dem Löwenzahn erwähnt. Sobald die Sprossachse erscheint, kann der Löwenzahn ausgeschlossen werden, dafür kann das Ackerhellerkraut (Thlaspi arvense) mit ihren Blüten und Schötchen zu Irritationen führen. Deren Schötchen sind allerdings rund in ihrer Form. Von Gefahr kann aber nicht die Rede sein, es ist ebenso essbar.


Das Hirtentäschel zeigt, wie Kraft und Resilienz in der Natur zusammenkommen – ein wahrer Überlebenskünstler, der uns nicht nur in der Heilkunde und Küche, sondern auch als Symbol für den Lebenswillen und die Anpassungsfähigkeit der Natur inspiriert.


Portrait Hirtentäschel

Comments


Waldsauerklee

Bleib auf dem Laufenden

Newsletter abonnieren & nichts mehr verpassen

Vielen Dank für das Abonnement!

mondblumenzeit  I  Mit       gemacht.  © 2023 Nicole Maurer

bottom of page